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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 64.099,89 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
2Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3I. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Ernstliche Zweifel im Sinne der Vorschrift liegen nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.
4Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 ‑ 2 BvR 758/07 -, juris Rn. 96, und vom 9. Juni 2016 - 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 16.
5Dies ist vorliegend nicht der Fall.
6Das Verwaltungsgericht hat - sofern für das Zulassungsvorbringen von Relevanz - ausgeführt, der angefochtene Festsetzungsbescheid vom 25. Juli 2017 sei rechtmäßig. Der Beklagte habe dem von der Klägerin gestellten Antrag auf Befreiung von der Niederschlagswasserabgabe nicht nachkommen dürfen, weil die Klägerin diesen verfristet gestellt habe und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nicht vorlägen. Nach § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW in der bis zum 16. Juli 2019 geltenden Fassung vom 8. Juli 2016, GV. NRW. 2016, Seite 559 (im Folgenden: AbwAG NRW a. F.) sei der Befreiungsantrag bis spätestens drei Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums zu stellen. Diese Ausschlussfrist sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Ausschlussfristen seien im Allgemeinen und auch im Abgabenrecht grundsätzlich zulässig. Der erforderliche sachliche Grund für die Ausschlussfrist liege hier vor, weil durch sie für den Beklagten zeitnah nach Ablauf des Veranlagungszeitraums absehbar sei, ob von der betroffenen Gemeinde eine Abwasserabgabe erhoben werden könne bzw. ob die Prüfung einer Befreiung von der Abgabeentrichtung erfolgen müsse. Dies erleichtere den weiteren Verfahrensablauf für den Beklagten, ohne die betroffene Gemeinde stark zu belasten. Dass sich bei einem fristgerecht gestellten Antrag die Entscheidung über die Abgabeerhebung verzögern könne, wenn keine ausreichenden Nachweise vorgelegt würden, ändere hieran nichts. Denn werde ein Antrag fristgerecht (aber unvollständig) gestellt, könne der Beklagte sich zumindest frühzeitig darauf einrichten, dass er die Abgabe höchstens nach Ablehnung des Befreiungsantrags erheben können werde. Sinn und Zweck der Ausschlussfrist sei nur mittelbar die Sicherstellung einer zeitnahen Abgabeerhebung, unmittelbar hingegen die Planbarkeit derselben und die Verringerung von Verwaltungsaufwand. Die Ausschlussfrist sei auch verhältnismäßig. Sie sei mit drei Monaten ausreichend lang bemessen und der Aufwand, den Befreiungsantrag fristgerecht zu stellen, sei verschwindend gering. Ausgehend hiervon habe die Klägerin den Befreiungsantrag für das Veranlagungsjahr 2016 spätestens am 31. März 2017 stellen müssen; der erst im Mai 2017 gestellte Antrag sei somit verspätet. Da Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgelegen hätten, sei der Wiedereinsetzungsantrag vom Beklagten zu Recht abgelehnt worden.
7Die hiergegen seitens der Klägerin erhobenen Einwände greifen nicht durch. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Abgabebefreiung scheide aus, weil der Befreiungsantrag der Klägerin erst nach Ablauf der dreimonatigen Ausschlussfrist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F. gestellt worden sei, wird von der Klägerin mit dem Zulassungsvorbringen nicht schlüssig in Frage gestellt.
8Die von der Klägerin bereits erstinstanzlich im Hinblick auf § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F. geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht.
9In der Rechtsprechung ist ‑ worauf bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat ‑ geklärt, dass materiell-rechtliche Ausschlussfristen, deren Nichteinhaltung zum Verlust einer materiell-rechtlichen Rechtsposition führt, grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sind. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte derartige Ausschlussfristen einzuführen, auch wenn dies unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Eine Ausschlussfrist erfüllt die Vorgaben des Verfassungsrechts, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht,
10vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1993 - 6 C 10.92 -, juris Rn. 15 ff.; s. auch Baer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 3. EL August 2022, § 31 VwVfG, Rn. 29,
11und sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt sowie verhältnismäßig ist.
12Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 - 1 BvL 17/83 -, juris Rn. 25 ff.; BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2014 - 3 B 40.13 -, juris Rn. 13; Baer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 3. EL August 2022, § 31 VwVfG, Rn. 29.
13Diese Voraussetzungen liegen ‑ wie vom Verwaltungsgericht zutreffend angenommen ‑ im Hinblick auf § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F., bei dem es sich entgegen der Ansicht des Beklagten schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut um eine Ausschlussfrist handelt, vor. Die der Vorschrift zugrunde liegende Intention des Gesetzgebers, durch Einführung einer Ausschlussfrist für den Befreiungsantrag eine zeitnahe Abgabenerhebung sicherzustellen,
14vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung betreffend das Gesetz zur Änderung wasser- und wasserverbandsrechtlicher Vorschriften vom 19. Januar 2016 (LT-Drucks. 16/10799, Seite 526),
15stellt einen sachlichen Grund dar. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Regelung bestehen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, insbesondere ist die dreimonatige Ausschlussfrist zur Erreichung des vorbezeichneten Zwecks geeignet und erforderlich. Dem Einwand der Klägerin, die dreimonatige Ausschlussfrist für den Befreiungsantrag mache angesichts der (verlängerbaren) sechsmonatigen Frist für die Einreichung von Nachweisunterlagen gemäß § 8 Abs. 2 Satz 5 AbwAG NRW a. F. im Hinblick auf die bezweckte Sicherstellung einer zeitnahen Abgabenerhebung „keinen Sinn“, was auch der Gesetzgeber erkannt und inzwischen die Frist für die Antragstellung auf sechs Monate verlängert habe, ist entgegenzuhalten, dass dem Gesetzgeber bei der Beurteilung der Geeignetheit und der Erforderlichkeit des von ihm gewählten Mittels eine Einschätzungsprärogative zukommt. Diese ist nur überschritten, wenn seine Erwägungen nicht schlüssig sind und deswegen offensichtlich keine Grundlage für eine angegriffene Maßnahme sein können.
16Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2010 - 1 BvR 1789/10 -, juris Rn. 18 und 21; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2013 - 8 C 25.12 -, juris Rn. 26.
17Dass der Gesetzgeber die ihm zukommende Einschätzungsprärogative hier überschritten hätte, trägt die Klägerin weder vor noch ist dies im Übrigen ersichtlich. Auch die von der Klägerin der Sache nach gegen die Angemessenheit der Norm vorgebrachte Argumentation verfängt nicht. Die Klägerin verweist insoweit auf den Umfang der ihr durch Versäumen der Ausschlussfrist entstehenden wirtschaftlichen Einbußen. Diese stehen aber bereits deshalb nicht außer Verhältnis zu dem mit der Einführung der Ausschlussfrist verfolgten Ziel des Gesetzgebers, weil es der Klägerin - wie auch anderen betroffenen Gemeinden - ohne weiteres möglich ist, den Verlust ihrer materiell-rechtlichen Rechtsposition durch rechtzeitige Stellung eines Befreiungsantrages zu verhindern.
18Dem Zulassungsvorbringen kann auch nicht entnommen werden, dass die Anwendung von § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F. zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden willkürlichen Ungleichbehandlung führt. Sofern die Klägerin die abweichende Behandlung von fristgerecht eingereichten Anträgen, bei welchen die erforderlichen Nachweisunterlagen erst später vorgelegt werden, und verfristeten Anträgen, welche der Abgabebehörde zeitgleich mit den erforderlichen Nachweisunterlagen zugehen, moniert, fehlt es schon an der Darlegung von im Wesentlichen gleich gelagerten Lebenssachverhalten, für welche Art. 3 Abs. 1 GG eine Gleichbehandlung gebieten könnte. Vielmehr besteht zwischen den beiden vorbezeichneten Gruppen im Hinblick auf die Einhaltung der Ausschlussfrist ein maßgeblicher Unterschied, welcher eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt erscheinen lässt. Auch die von der Klägerin weiter vorgebrachte Rüge, § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F. führe zu einer willkürlichen Ablehnung von nicht fristgerecht gestellten, aber vollständigen Befreiungsanträgen, greift nicht durch. Zum einen bleiben sämtliche nach Ablauf der Ausschlussfrist gestellten Befreiungsanträge unberücksichtigt. Zum anderen kann dem Gesetzgeber Willkür nicht schon deshalb zur Last gelegt werden, weil dieser unter mehreren möglichen Lösungen nicht die zweckmäßigste oder vernünftigste gewählt hat; vielmehr ist eine gesetzliche Bestimmung nur dann als willkürlich anzusehen, wenn offenkundig ist, dass sich für diese kein sachlicher Grund finden lässt.
19Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 -, juris Rn. 89, sowie Urteil vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 -, juris Rn. 169; Kischel, in: BeckOK GG, 54. Ed. 15.02.2023, Art. 3 Rn. 30.
20Dies ist indes - wie ausgeführt - im Hinblick auf die in § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F. enthaltene Fristenregelung angesichts der vom Gesetzgeber mit der Einführung einer Ausschlussfrist verfolgten Intention nicht anzunehmen.
21II. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
22Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn mit ihr eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte Frage aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer bedeutsamen Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf und die für die Entscheidung erheblich sein wird, oder wenn die in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung von Tatsachenfragen verallgemeinerungsfähige, d. h. einer unbestimmten Vielzahl von Fällen dienende Auswirkungen entfaltet. Dabei ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
23Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2015 ‑ 1 B 37.15 ‑, juris Rn. 3; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 12. Januar 2018 - OVG 11 N 119.17 -, juris Rn. 2.
24Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Die Klägerin formuliert bereits keine ihrer Auffassung nach klärungsbedürftige Frage. Dem Vorbringen, es sei eine (nicht mehr geltende) Gesetzesbestimmung auszulegen, lässt sich auch sinngemäß keine solche Frage entnehmen. Sollte es der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel darum gehen, die Verfassungsmäßigkeit der in § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F. normierten Ausschlussfrist im Rahmen eines Berufungsverfahrens überprüfen zu lassen, rechtfertigt das nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift lässt sich - wie unter I. dargelegt - unter Heranziehung der ständigen Rechtsprechung zu Ausschlussfristen im Zulassungsverfahren beantworten, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
25Eine grundsätzliche Bedeutung legt die Klägerin auch nicht mit dem Hinweis dar, einige weitere nordrhein-westfälische Gemeinden hätten nach Auskunft der kommunalen Spitzenverbände die Ausschlussfrist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 AbwAG NRW a. F. ebenfalls versäumt. Die bloße Existenz einer dem Senat nicht bekannten Anzahl weiterer anhängiger (Gerichts-)Verfahren rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass Rechtsfragen zu ausgelaufenem Recht nach ständiger Rechtsprechung trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung haben, weil mit der Zulassung der Berufung keine für die Zukunft richtungsweisende Klärung erreicht werden kann.
26Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 2021 - 6 BN 2.20 -, juris Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 4 A 3049/20 -, juris Rn. 21.
27Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
28Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).